Philipp Junghans
So ganz MENSCHlich
 

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In meinem Blog verzichte ich zugunsten einer besseren Lesbarkeit auf eine Doppelnennung und gegenderte Bezeichnungen. Die Personenbezeichnungen beziehen sich immer (sofern nicht besonders gekennzeichnet) gleichermaßen auf weibliche, männliche und diverse Personen.


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20.04.2021

Über die Unterschiede zwischen Nichtstun und Faulsein

Es ist noch gar nicht so lange her, vielleicht erst 30 Jahre, da saß ich als junger Junge auf der Couch meiner Großeltern und schaute Tierdokumentationen. Spannende Sachen über Haie, Schlangen, Braunbären, Gnus und Löwen. Ach, diese Löwen. Die haben mich aus irgendeinem Grund bis heute nie so richtig losgelassen. Ich sehe sie immer noch, diese stolzen Männchen mit ihren dicken Mähnen, wie sie die meiste Zeit unter einem Baum im Schatten liegen, während das Weibchen eine frische Antilope zum Mittag fängt und noch die Kleinsten versorgt. Auf eine Weise bewunderte ich diese Räuber der Steppe, diese Eliten der Nahrungskette, die doch mit scheinbar wenig Aufwand ein komfortables Leben führten. Heute frage ich mich, sind diese Löwenmännchen denn nun faul, extrem gut im Delegieren oder bereiten sie sich körperlich und mental schon auf den nächsten testosterongestärkten, emporstrebenden Versuch eines Löwens vor, der ihm Land und Weibchen streitig machen will. Da ich leider keinen Löwen persönlich kenne, wage ich die Selbstbetrachtung und werfe einen Blick auf mein eigenes Couchverhalten.

Faulsein hat zweifelsohne einen zweifelhaften Ruf. Nicht erst seit gestern versuchen zahlreiche Autoritäten, dem Menschen sein nichtsnutziges Dasein auszutreiben und ihn stattdessen zu arbeitswilligen und immer einsatzbereiten Arbeiterbienchen zu formen. So kommt es denn, dass einige von uns schon ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie es sich wagen mal drei Tage mit 39 Grad Fieber im Bett zu liegen und nicht zur Arbeit zu gehen. Dazu gehört auch der emsige Kollege, der in so in einem Fall zum Besten gibt: “Wieso bleibst du wegen so einer Kleinigkeit zu Hause? Jetzt habe ich die ganze Arbeit und überhaupt - ‘Ein Indianer kennt keinen Schmerz’.” Ein weiteres Husarenstück in der Ausmerzung der Faulheit ist der knappe, aber höchst effektive Grundsatz: „Erst die Arbeit und dann das Vergnügen“. An sich keine schlechte Überlegung, wäre da nicht ein kleines Problem. Wer kennt es nicht, der Abwasch ist gemacht und der Staubsauger steht willig in der Ecke: “Gut, dann der noch, aber dann mache ich Pause. Das Bad habe ich allerdings schon seit 2 Tagen nicht mehr geputzt, und die Wäsche quillt auch schon über.” Dies hat freilich zur Folge, dass der arbeitsame Mensch von einer Arbeit in die nächste stolpert und das Vergnügen am Ende des Tages vom Rand der Erde runterfällt.

Faulsein ist der bewusste Verzicht auf jegliche Verantwortungsübernahme, bei gleichzeitiger Maximierung des Wohlfühlfaktors. Alles wird auf Genuss, Leichtigkeit und sinnliche Befriedigung ausgelegt. Der Faule entscheidet vollständig über den Inhalt seiner Zeit, fühlt sich frei, als König der Welt, als Herrscher über Konsum und Sinnesreizung. Das alte Bild vom gerippten, vollgekleckerten Unterhemd ist passé. Heutzutage wird im Pyjama zwischen Couch, Bett, Küche und Toilette gependelt, während die restliche Welt ihren Forderungen und Pflichten nachgeht. So sieht moderne Ressourcenschonung und Ich-Zeit aus. 

Nichtstun hat auf den ersten Blick ein weitaus besseres Image. Über die Jahre gewann diese, von Kennern als höchstschwierig angesehene Tätigkeit, enorm an Popularität. Beim Nichtstun schwingt das daoistische  wu wei - das Handeln durch Nichthandeln - mit, das Achtsamsein, Fokussieren auf das Innere, Entschleunigen, Gedulden, Reduzieren. Alles höchst angesehene Tätigkeiten, für die es nichts weiter braucht als Entschlossenheit und ein Sitzkissen. Wer die wirkliche Tragweite des Nichtstuns mal ausprobieren möchte, dem sei hiermit empfohlen sich mal 20 Minuten (gerne auch länger) gerade hinzusetzen und alles andere abzuschalten … kein Fernseher, kein Radio, kein Handy, kein Internet, kein Social Media … nichts, aber auch rein gar nichts. Nur der Mensch, der sitzt und die Wand anstarrt (oder die Augen schließt). In der Regel dauert es nicht lange, bis sich die Ereignisse im Kopf überschlagen: “Ich muss noch einkaufen … Warum sitze ich hier? Wo kommt meine Atmung her? Wieso gehe ich für so wenig Geld arbeiten? Das Wetter ist aber wieder mies heute!”
Die große Kunst des Nichtstuns ist nun, all diesem Gewirr im Kopf keinerlei Bedeutung beizumessen sondern einfach zu sitzen und wertfrei die Ereignisse zu beobachten, die sich da auf der Leinwand des Kopfes abspielen.

Was bleibt als Fazit zu sagen? Ich empfehle jedem sich regelmäßig im Faulsein und Nichtstun zu üben. Beide Handlungen sind fundamental wichtig um in dieser Welt dauerhaft zu bestehen. Nur durch sie, wird der Mensch bei entsprechender Dosierung zu Höchstleistungen fähig sein und dabei seinen Verstand behalten. Nebenbei verrennt sich der Übende weniger in Hirngespinsten, sondern findet vielleicht heraus, was ihm wirklich wichtig ist.

Und der Löwe? Was macht er nun? Ist er ein machonarzistischer, fauler Nichtstuer, der andere für sich schuften lässt und am Ende des Tages auch  noch die Filetstücke der Antilope bekommt - oder ist er der König des “Unter dem Baum Liegens”, der seine Kräfte schont um im entscheidenden Moment Weibchen, Kind und Rudel verteidigen zu können. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Doch eines scheint so sicher wie die Pupsspur in der Unterhose … ohne seine Familie, sein Weibchen, seine Nachkommen, seine Gefährten, ist er nichts weiter als eine toupierte, durch die Steppe streifende, überdimensionierte Katze, die man nicht streicheln kann.

©[04|21|PJ] 

Admin - 09:38 | Kommentar hinzufügen





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