02.04.2023
Wenn mich jemand fragen würde, welche Erfahrungen aus meiner Kindheit mir heute noch vor Augen schweben, würde ich glücklicherweise erwidern können: Familienurlaube, Geburtstage und so manches kleine Abenteuer … nach einer Weile würde ich noch hinzufügen … „Und ich war mit Westgeld im Intershop einkaufen.“
Für jemanden, der noch nie in einem Intershop eingekauft hat bzw. der erst nach dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aufgewachsen ist, mag es heute kaum vorstellbar sein, welchen Reiz dieses Geschäftsmodell zur damaligen Zeit auf viele Menschen hatte. Deswegen möchte ich neben ein paar Fakten hier eine ganz persönliche Geschichte über dieses kleine Kuriosum namens Intershop zum Besten geben.
Vor dem Jahr 1990 war Deutschland eigentlich Zwei-Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg 1945 entwickelten sich im Westen die Bundesrepublik Deutschland bestehend aus der amerikanischen, französischen und britischen Besatzungszone und im Osten die Deutsche Demokratische Republik, welche der sowjetischen Besatzungszone entsprach. Als Währung fungierte im westlichen Teil ab 1948 die Deutsche Mark (DM) und im östlichen Teil ab dem gleichen Jahr die Mark (M). Weitere Unterschiede (hier nur vereinfacht dargestellt) betrafen die Warenlandschaft und damit das Konsumverhalten der jeweiligen Bürger. Im sog. „Westen“ gab es Volkswagen, Coca-Cola, Kinderschokolade und Adidas und im sog. „Osten“ Trabant, Vita Cola, Knusperflocken und Dederon-Kittelschürzen.
Den Menschen in Ostdeutschland war es nicht ohne weiteres möglich westliche Produkte (legal) zu kaufen. Vieles was der Westen hatte und der Osten nicht, wurde, zumindest vordergründig von offizieller Stelle, als kapitalistisches Teufelszeug betrachtet, gemeinhin verpönt und war unerwünscht.
Nun sind Geld und Devisen etwas, was sich immer über politische oder ideologische Grundprinzipen hinaus gut gebrauchen lässt, weshalb am 14. März 1962 in der DDR die staatliche Handelsorganisation “Intershop GmbH“ von Vertretern der Mitropa und der Deutschen Genussmittel GmbH gegründet wurde. Das Ziel dieses Geschäftsmodells bestand zunächst darin, Geld (sog. „Westgeld“ oder auch Valuta = frei konvertierbare Währungen westlicher Länder) von Transitreisenden und Besuchern aus dem westlichen Ausland abzuschöpfen, um dieses Geld der DDR-Wirtschaft zuführen zu können. Da es Bürgern der DDR bis 1974 verboten war, „Westgeld“ zu besitzen, war es ihnen bis dahin auch nicht möglich in Intershops einzukaufen um „westliche“ Waren wie Kleidung, Süßigkeiten, Zigaretten, Tonträger, Schmuck und das für mich damals Allerwichtigste – Spielzeug – ihr Eigen nennen zu können. Erst nach ´74 konnten DDR-Bürger eigenes „Westgeld“ besitzen. Allerdings nur durch Geldgeschenke von Westverwandten oder als Arbeitsentgelt durch Tätigkeiten im westlichen Ausland. Ein offizieller Umtausch von Mark in D-Mark war nicht möglich.
1989 existierten in der DDR 470 Intershop-Filialen, die Umsätze in Milliardenhöhe erwirtschafteten. Damit machten sie tatsächlich einen erheblichen Teil des damaligen Guthabens des DDR-Staates aus. Ein weiterer interessanter Fakt ist der Umstand, dass die Intershops vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwacht wurden und das Verkaufspersonal häufig aus Angehörigen von MfS-Mitarbeitern oder -Funktionären bestand. Zudem wurden die Filialen oft per Video überwacht und das Fotografieren war streng verboten, weshalb heute kaum Bilder vom Inneren eines Intershops existieren.
Ich war wohl 6 oder 7 Jahre alt, als ich meine Uroma Ende der 1980ger Jahre in Anklam besuchte. Sie war damals schon recht alt und sie hatte für mich als Steppke in der Regel ein kleines Geschenk zum Abschied. Ich kann mich erinnern, dass sie mir einmal ein 2 DM-Stück und ein anderes Mal einen 5 DM-Schein schenkte. Ich bin anschließend mit meinen Großeltern in einen Intershop gegangen (war wohl in Greifswald) und war vollkommen überwältigt. Ich erinnere mich, dass es sich um ein vergleichsweise kleines Geschäft handelte. Es gab nur einen Verkaufsraum mit hohen, bunt gefüllten Regalen und einen großen Tresen (aus Glas oder Holz?) hinter dem der Verkäufer/die Verkäuferin stand. Möglicherweise gab es noch andere Räume, doch die interessierten mich nicht. Mich faszinierten nur die Matchbox-Autos, die einzeln in bunten Verpackungen bis zur Decke hoch an einer Wand hingen, direkt gegenüber des Verkaufstresens. Ich stand mit großen Augen vor dieser Wand und verlor mich in den unendlichen Auswahlmöglichkeiten farbenprächtiger Produkte.
Die ersten 2,- DM habe ich in solch ein Matchbox-Auto investiert. Bei meinem zweiten Besuch wollte ich ein Aufziehauto haben, wobei es ein blaues und ein gelbes gab (ansonsten komplett identisch). Es hatte einen Überrollkäfig, eine funktionierende Federung und grobstollige Gummireifen. Lange stand ich am Tresen und schwankte zwischen den Farbvarianten. Schließlich legte ich mich fest, schob meinen wertvollen 5,- DM Schein über den Tresen und nahm das gelbe Aufziehauto mit Überrollkäfig, Federung und grobstolligen Gummireifen mit nach Hause.
Ich freute mich darüber, allerdings musste ich relativ schnell feststellen, dass ich lieber das Blaue hätte nehmen sollen (an einen Umtausch habe ich damals nicht gedacht).
Heute, mit einer gewachsenen Weitsicht, kann ich sagen, dass ich wohl das Gelbe gewollt hätte, hätte ich mich damals erst für das Blaue entschieden. So ist das mit dem Rasen des Nachbarn und dem Willen, der wohl oft doch nicht so recht weiß was er wirklich will. Und wenn ich es mir jetzt noch einmal genau überlege, über dreißig Jahre später, würde ich es wohl ganz anders machen. Ich würde weder das Gelbe noch das Blaue nehmen, sondern würde das Geld in zwei Matchbox-Autos investieren, die ich, im Gegensatz zu dem Aufziehauto, welches bei weitem nicht so stabil war, wie es zunächst aussah, wohl heute immer noch in einer Kiste liegen hätte.
Wer seine eigenen Erfahrungen im Intershop mit anderen Lesern teilen möchte, kann dies sehr gerne in den Kommentaren dieses Beitrags tun.
Quelle: www.wikipedia.de
ausgelesen am 25.02.2023; Suchbegriffe: Intershop, Deutsche Wiedervereinigung, Westgeld, Deutsche Mark, Mark
© [04|23|PhilippJunghans]
Admin - 23:16 | Kommentar hinzufügen
Tja, leider sehr treffend. Für einige wenige Jahre war der Gesellschaft klar, w…
Ach, Philipp.
Wirklich schön, eigensinnig.
Echt cooles Tempo, sich selbst wi…
Dass wir andere Menschen wieder wertschätzen sollten, ist ein schöner Wunschtr…
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