04.07.2023
„Hey, Sebbi, dass wir uns hier über den Weg laufen. Wie lange ist das jetzt her … bald zwanzig Jahre? Wie läuft es an der Turnlehrer-Front? Immer noch die Sportskanone von früher? Ich sage dir, ich bin immer bei der Stange geblieben. Hin und wieder habe ich mich natürlich verfranzt. Stand mit Chemie ja schon immer auf Kriegsfuß und es hat mich wiederholt entschärft. Die haben uns vielleicht mit Formeln zugeballert, ich musste mich wirklich am Riemen reißen. Hat doch niemand auf dem Schirm, dass man tatsächlich lernen muss.
So nun erzähl mal! Hast du Frau, Kinder, Haus? Ich für meinen Teil habe gedacht, Arbeit macht frei … Pustekuchen. Im Eifer des Gefechts habe ich fast meine gesamte Reserve innerhalb eines halben Jahres verballert. Ich hatte eine Bombenstelle … was mit Rang und Namen. Aber hinter der schönen Fassade sah es aus wie Bombeneinschlag. Keine Führung, keine Disziplin, nur Kanonenfutter und Bauernopfer, die sich bei jeder Gelegenheit sofort aus dem Staub machen. Ich natürlich sofort Alarm geschlagen und den Laden auf Vordermann gebracht. Schwere Geschütze musste ich auffahren, Betriebsrat und so weiter. Die gleich so … „Ach das bringt nichts, die Fronten sind total verhärtet.“ Ich gleich Lunte gerochen und erstmal die Chefs aufs Korn genommen. Meine Anwälte waren gleich Spitz wie eine Haubitze. Die Chefs sich natürlich angegriffen gefühlt und alle bürokratischen Täuschungsmanöver angewendet. Zurück blieb nur verbrannte Erde. Ich Trottel hatte die Probezeit vergessen und blieb ausgebrannt am Boden zurück.
Du fragst dich bestimmt, was ich jetzt mache? Ich habe natürlich nicht mein ganzes Pulver verschossen. Trotzdem hab ich mir eine Auszeit gegönnt, von wegen „arbeitsunfähig“ und nicht mehr zu gebrauchen. Gerade letzte Woche habe ich ein rauschendes Fest organisiert. Ich habe ordentlich die Werbetrommel gerührt und weißt du wer sich gemeldet hat? Die Maria … das war die Granate aus der Zehnten. Die hatte damals diese Freundin … wie hieß die doch gleich … Magda. Schwer anzusehen und eine Persönlichkeit wie ein Minenfeld. Ein falsches Wort und Polen war offen. Einmal sagte ich zu ihr: „Du brummst, wie ein Bienengeschwader.“ Das fand die nicht lustig und hat mich wie einen Landesverräter behandelt. Aber die Maria, da habe ich früher schon gedacht: „Feuer frei und Attacke“, was für ein Geschoss. Sie meinte, sie kommt auch zur Party, hat mich aber echt lange auf die Folter gespannt. Fünf vor zwölf kam sie dann. Ich wollte natürlich keine 08/15 Party nur mit Saufen und so. Ich wollte was, was richtig kracht. Es war Bombenwetter angesagt, also habe ich draußen was aufgebaut. Es flogen zwar die Pollen, sodass ich eine Niesattacke nach der anderen hatte, aber diese Opfer müssen halt gebracht werden. Viele haben sich natürlich trotzdem abgeschossen. Aber mit der Maria, das war schon besonders. Als die meisten blau auf dem Rasen lagen, haben wir Schiffe versenken gespielt - ein Schlachtfeld ohne Gleichen. Wir konnten gar nicht mehr aufhören. Wir haben gelacht und gespielt… Stunden gespielt, gespielt und gespielt… bis zur Vergasung.
Naja … jetzt habe nur ich erzählt und du bist gar nicht zu Wort gekommen. Ich muss jetzt auch los. Vielleicht sieht man sich mal wieder. Ist ja eine kleine Welt. Also, halt die Fahne hoch und Ski Heil!“
© [07|2023;PhilippJunghans]
Admin - 21:20 | 1 Kommentar
Tja, leider sehr treffend. Für einige wenige Jahre war der Gesellschaft klar, was sie der Demokratie verdankt, nachdem sie die Antidemokratie aktiv miterlebt und mitgeduldet hatte. Aus jener Zeit datiert der schöne Satz: “Wenn es um fünf Uhr morgens klingelt, ist es noch nicht der Milchmann, aber auch nicht mehr die Gestapo.” Schnell jedoch ging die Erinnerung aktiv verloren, und die Demokratie wurde etwas Selbstverständliches, das einem angeblich zustünde und das man mittlerweile nach eigenem Gutdünken zum egoistischen Vorteil ausdeuten dürfe. Zu viele von uns schleppen LTI, LQI, das Hurragehabe aus Kaisers Zeiten und die neunzig Jahre einer grauenhaft effizienten deutschen Tüchtigkeit bis heute mit sich herum, gekennzeichnet durch eine Geisteshaltung, die vor der Katastrophe nach dem Motto agiert: “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!”, während der Katastrophe: “Soll’s denen doch dreckig gehen, Hauptsache, mir nicht!”, und nach der Katastrophe: “Die sind doch selber schuld an ihrem Unglück!” “Nach” und “vor” schwimmen gerade im Krakeeler-Diskurs wieder lautstark obenauf. Wie aber kommen wir jemals raus aus dieser Idiotenmentalität? Erst wenn uns global ekelhafte Zustände zum Handeln zwingen. Und auch dann wird die Bande erst einmal heulen, das habe sie doch alles gar nicht gewusst, und das hätte man ihr sagen müssen!, und anschließend weiter Zeit vertrödeln mit der unglaublich wichtigen Aufgabe, ‘Schuldige!’ finden zu müssen.
In Zeiten der Krise suchen die Vernünftigen Lösungen und die Idioten Schuldige. Oder, nach Mark Twain: Gott schuf den Menschen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet.
Tja, leider sehr treffend. Für einige wenige Jahre war der Gesellschaft klar, w…
Ach, Philipp.
Wirklich schön, eigensinnig.
Echt cooles Tempo, sich selbst wi…
Dass wir andere Menschen wieder wertschätzen sollten, ist ein schöner Wunschtr…
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