30.03.2025
1. Zur Einordnung meiner Person
2. Die Situation nach der Bundestagswahl 2025
3. Was die AfD erfolgreich macht
4. Was können wir tun?
5. Ausklang
Disclaimer: In diesem Text wird eine (meine) persönliche Meinung formuliert. Jeder ist angehalten sich sein eigenes Bild zu machen. Dieser Text dient als Orientierungshilfe und Anregung. Meinung ist nicht gleich Wahrheit.
1. Zur Einordnung meiner Person
Inzwischen sprechen immer weniger Menschen über ihre politische Einstellung. Wie nach dem alten Leitsatz: „Über Geld spricht man nicht“ kann es heute heißen „Über politische Meinung spricht man nicht“. Egal welche Couleur die Wahlpräferenz hat, tun sich viele heute schwerer, ihre politische Einstellung zu kommunizieren. Zu groß ist die Angst schlecht dazustehen, ausgegrenzt zu werden, oder schlimmer, attackiert zu werden. Da ich persönlich denke, dass es wichtig ist über Geld und persönliche Einstellungen zu sprechen, möchte ich meine politische Haltung kurz formulieren.
Ich selbst wähle für gewöhnlich Grün, SPD oder CDU - je nachdem wer mir am authentischsten erscheint und das beste Paket für Deutschland, Europa und die Weltpolitik verspricht. Machen diese Parteien alles richtig? – sicher nicht. Ich gehe immer wählen. Sei es für die Stadt, den Landkreis, das Bundesland oder die Republik. Die Partei AfD habe ich noch nie gewählt und habe es auch in Zukunft nicht vor. Das Wertesystem der AfD beruht meiner Meinung nach auf Komponenten wie Stärke und Schwäche, Macht und Ohnmacht, Stolz und Scham, guter Mensch und schlechter Mensch. Es ist ein emotionsgeladenes, bipolares Denken und Handeln, das in meinen Augen für einen unausgereiften und oft verletzten Charakter steht. In unserer vernetzten Welt braucht es mehr als das. Es braucht Miteinander, Flexibilität, Wertschätzung und vor allem gewaltfreie Kommunikation.
Ich schließe mich denen an die sagen, Deutschland hat die stärkste Demokratie der Welt.
2. Die Situation nach der Bundestagswahl 2025
Die Wahlergebnisse wurden am 7.3.2025 von der Seite www.spiegel.de abgerufen.
Deutschland hat am 23.2.2025 einen neuen Bundestag gewählt, nachdem die vorherige Ampelregierung (SPD, FDP, Grüne) vorzeitig aufgelöst wurde. Mit einer Wahlbeteiligung von 82,5% (die höchste seit der Wiedervereinigung) kamen folgende Ergebnisse zustande: Union (CDU/CSU) = 28,5%, AfD = 20,8%, SPD = 16,4%, Grüne = 11,6% und Linke = 8,8%.
Die AfD konnte ihr Ergebnis von 2021 verdoppeln (damals 10,4%). 2025 entspricht das Ergebnis genau 10.327.148 Stimmen für die AfD.
Mit 46,7% lässt sich der Wahlkreis Görlitz als Hochburg für AfD-Stimmen bezeichnen. Der Kreis Köln II mit 6,3% als politische Enklave.
Deutschlandweit kommt die AfD unter den 18-24 Jährigen mit 21% nach den Linken auf den zweiten Rang. Unter den 25-44 Jährigen nimmt die AfD stets den ersten Rang ein. Erst ab dem 45. Lebensjahr überholt hier die Union.
Frauen wählen seltener (18%) die AfD als Männer (24%). In einfachen und mittleren Bildungsschichten ist die AfD in etwa gleichauf mit der Union. Unter den Hochgebildeten hat die AfD (13%) mit den Linken (11%) vergleichsweise niedrige Werte.
Unter den Arbeitern hat die AfD mit 38% mit Abstand den höchsten Zuspruch (2. Platz Union mit 22%). In allen anderen Berufsgruppen (Angestellte, Selbstständige, Rentner) hat die Union stets die höchsten Stimmenanteile.
Bei der finanziellen Lage schneidet die AfD bei schlecht verdienenden Menschen besonders gut ab (39%, zweiter Platz Union = 17%). Zudem gibt es ein offensichtliches Ost-West-Gefälle.
Westdeutschland: Union = 30,7%; AfD = 17,9%
Ostdeutschland: AfD = 34,6%; Union 18,4%
Thüringen ist mit 38,6% Stimmen für die AfD Spitzenreiter, vor Sachsen 37,3% und Sachsen-Anhalt mit 37,1% gezählten Stimmen für die AfD.
3. Was die AfD erfolgreich macht
Sie erschafft eine Art „AfD-Bubble“. Nach der Bundestagswahl haben wir gesehen, wie groß diese Bubble inzwischen ist. Sollte sie noch weiter wachsen, wird sie dies nicht sehr viel länger langsam und vorhersagbar tun. Sie wird uns irgendwann mit einem Knall um die Ohren fliegen - über eine gewisse Brandmauer einfach hinweg.
In dieser Bubble sollen sich die Menschen wohl und sicher fühlen („Die Partei als sicherer Ort“). Es gibt kaum Streit - paradoxerweise wird Meinungsfreiheit hervorgehoben, obwohl innerhalb der AfD eine gleichgeschaltete Haltung vertreten wird. Es gibt scheinbare Sicherheit und es gibt Bestätigung für die eigene Haltung. Alles innerhalb der Bubble wird als schön, toll und gut dargestellt. Vieles außerhalb der Bubble wird als schlecht, verkommen und unmenschlich dargestellt. Die AfD ist wie ein Vergrößerungsglas - ist es für die Partei förderlich, wird es vergrößert, ist es für die Partei schädlich, wird es runtergespielt.
Die AfD ist sehr um ihre Außenwirkung bemüht („saubere Fassade“). Sie wird nicht müde zu betonen, wie normal und harmlos sie doch eigentlich ist. Sie negiert ihr „Rechts-sein“ sehr erfolgreich, dabei bagatellisiert sie eigene extreme Punkte und übertreibt externale Normalität oder Nischenphänomene. Sie gibt sich als die neue Mitte aus. Alles was politisch links von der AfD ist, wird als „links“ bezeichnet. Wenn die AfD laut AfD die neue Mitte ist, was kommt dann rechts von der AfD?
Die AfD ist breit in den sozialen Medien aufgestellt. Neuerdings mit perfekt aussehenden KI-generierten Frauen, die ihre Begeisterung für die AfD auf diversen Plattformen ausdrücken. Das ist insofern ein Problem, da es vor allem jüngeren Menschen immer schwerer fällt ohne ihr Handy auszukommen. Social Media ist bei vielen Menschen ein fester Bestandteil des Alltags. Bei einer täglichen Nutzungsdauer von mehreren Stunden kann man von einem bedenklichen Gebrauch sprechen. Ergeben sich Gesundheitsschäden wie Schlafstörungen, Ängste, Reizbarkeit oder soziale Isolation, kann man auch von Online-, Medien-, oder Social Media Sucht sprechen. Zentrale Merkmale einer Onlinesucht sind der Verzicht auf reale soziale Kontakte, aus Angst online etwas zu verpassen („fear of missing out“), Verstärkung sozialer, psychischer und physischer Symptome, sowie der Bedarf an immer stärkeren Reizen.
Für unser Thema sind die „cyber-relationship addiction“ (die Sucht nach virtuellen Beziehungen in Chatrooms und sozialen Netzwerken), sowie der „information overload“ (die Informationsüberflutung durch ständiges Suchen nach neuen Informationen im Netz) relevant. Da sich die Hinweise häufen, dass Social Media Plattformen wie X, TikTok und Instagram nicht mehr politisch neutral arbeiten, sondern die zugrundeliegenden Algorithmen überproportional rechte Inhalte favorisieren (Untersuchungen von Frontal, Global Witness und Democracy Reporting International), haben wir an dieser Stelle ein Radikalisierungsproblem. Aktuell wird die Angst vor einem aggressiven Russland und einem möglichen Dritten Weltkrieg massiv geschürt. Wähler der AfD haben das Gefühl, mit ihrer Stimme den Dritten Weltkrieg verhindern zu können und für den Frieden zu kämpfen. Leider gibt es gerade in Bezug auf den Russisch-Ukrainischen Krieg eine verbreitete Form der „Täter-Opfer-Umkehr“ (siehe Wikipedia für eine weitere Vertiefung).
Die Partei verspricht ein neues Fundament durch „Zurückdrehen der Zeit“. Zurück zu alter Stärke, zurück zu alter Kontrolle, zurück zu alter Freiheit, zurück zu alter Sicherheit und zurück zu alter Gerechtigkeit. Dies ist sichtbar an Ansichten wie, „Nur Bares ist Wahres.“, „Atomkraft statt Windräder.“ „Verbrenner statt Elektro.“ „Es gibt nur zwei Geschlechter.“ Es ist ein Versprechen, die Zeit zurückzudrehen, in einen Zustand in dem das Leben noch einfacher und sorgloser war. In eine Zeit in der weniger Widersprüche herrschten, weniger Reize, weniger Reibungspunkte. Hier wird ein überforderter Geist angesprochen, der mit dem Lauf der Zeit nicht mehr mitkommt. In einer Zeit in der sich die weltpolitischen Ereignisse fast täglich überschlagen, in Post-Corona Zeiten, erlebter Migrationsüberforderung, Inflation, öffentlichen Anschlägen auf Leib und Leben, Kriegsbedrohungen an allen Ecken, ist „die zurückgedrehte Zeit“ für immer mehr Menschen eine sehr attraktive Perspektive. Dieses Versprechen der AfD, die Verhältnisse zu vereinfachen, ist ein sehr mächtiges Werkzeug, das wir nicht unterschätzen sollten. Viele Menschen haben Angst, fühlen sich in ihrer finanziellen, familiären und sogar existenziellen Sicherheit bedroht. Es ist auch egal, ob diese Gefühle nun von außen gesehen berechtigt, logisch oder sinnvoll sind oder nicht. Sie sind da, und die Menschen wollen, dass jemand darauf schaut und sie ernst nimmt. Wenn es die Parteien der Mitte nicht tun – die AfD freut sich.
4. Was können wir tun?
Wegschauen, Ignorieren und hoffen, dass alles von alleine vorbei geht, ist keine hilfreiche Strategie. Dieses Thema wird sich vermutlich nicht von alleine auflösen. Rechte und linke Meinungen gehören zu einer Demokratie dazu und werden auch in Zukunft Bestandteil des Diskurses bleiben.
Es braucht einen aktiven Vertrauensaufbau zu den Menschen, die der Überzeugung sind, die AfD allein könne ihre Probleme lösen.
Es braucht mehr Transparenz über Entscheidungsprozesse in der Politik, deutlich mehr Aufklärung und Erklärung z.B. warum gibt es die Brandmauer; warum arbeitet niemand mit der AfD zusammen, wenn sie doch demokratisch gewählt werden kann; wenn ich in Sachsen die AfD zur Bundestagswahl wähle, wähle ich dann eine gesichert rechtsextreme Partei oder nicht; warum ist die AfD in einigen Bundesländern gesichert rechtsextrem, in anderen nicht? Die AfD macht sich nicht die Mühe, die Menschen darüber aufzuklären, die sagt nur: „Das ist alles Firlefanz“.
Es braucht dringend eine Stärkung von Kultur, Infrastruktur, Wirtschaft, Familie, Bildung. Laut statista.com beträgt der Anteil Ostdeutschlands am gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt ca. 16 %, das waren 2023 insgesamt ca. 467 Milliarden Euro, im Vergleich zu 3,654 Billionen Euro (Westdeutschland inklusive Berlin), dabei ist mir schon klar, dass es auch im Westen strukturschwache Regionen gibt.
Keine hoch emotionalisierten Argumentationsschlachten im Sinne von „Wer hat Recht, oder die besseren Argumente/Fakten“, sondern Verstehen, respektvolles Zuhören, auf gedankliche Fehler wie Verallgemeinerungen, Schwarz-Weiß-Denken oder Übertreibungen hinweisen. Bei Gewalt (physisch oder psychisch) hört die Meinungsfreiheit auf. Undifferenzierte Verallgemeinerungen wie „Brauner Osten“ oder „Alle AfD-Wähler sind Nazis“, sind nicht nur wenig hilfreich, sie unterstützen am Ende sogar das Narrativ der AfD.
Mehr Abstand zum Handy und medialen Inhalten finden. Challenge: das Handy einen Tag im Schrank einschließen, sich in der realen Welt bewegen, Menschen treffen, ein Buch lesen (z.B. Als ich ein kleiner Junge war von Erich Kästner, oder Die Welt von Gestern von Stefan Zweig). Jeder kann Freunde und Familie auch auf einen bedenklichen Gebrauch sozialer Medien hinweisen und Hilfe anbieten. Das eigene Konsumverhalten kritisch hinterfragen, auf Emotionalisierungen wie Angst- und Panikmache oder das Ansprechen eines übertriebenen Ungerechtigkeitsempfindens achten, sich selbst nicht instrumentalisieren lassen.
Social Media Content ist nicht gleich Wahrheit!
Die deutsche Politik sollte ihren Fokus nicht ausschließlich auf die prestigeträchtige Welt- und Europapolitik setzen. Sie sollte auch das eigene Haus im Blick behalten - die Städte und Dörfer, die Schulen und Kitas, die Familien. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo Menschen deutlich weniger Kinder bekommen. Laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) befindet sich die Geburtenrate auf dem niedrigsten Stand seit 2009. Waren es im Jahr 2021 im Schnitt noch 1,57 Kinder pro Frau, so waren es 2023 nur noch 1,36. Neben den bereits besprochenen Ursachen, spielt für viele gewiss auch die finanzielle Absicherung eine Rolle. Viele können Kinder mit steigender Arbeitsbelastung und eigener Lebensbewältigung kaum noch in Einklang bringen. Schon jetzt müssen Familien (auch mit zwei Gehältern) schauen, wo sie einkaufen, was sie einkaufen, wo sie in den Urlaub hinfahren können, ob sie dem Kind den Ranzen kaufen können, den es sich wünscht.
Die Politik kann nicht alle individuellen Probleme lösen. Jeder kann zum Beispiel mehr Verantwortung für seine eigenen Finanzen (Stichwort Rente) übernehmen. Damit reduziert sich die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Institutionen und die Abhängigkeit von einer einzigen Einkommensquelle - wie dem Gehalt.
5. Ausklang
Wir sind eine Gesellschaft. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten 10 Millionen Menschen (Stand Februar 2025) auszuschließen. Es wäre naiv zu glauben, es wäre ein reines Ostproblem, begrenzt auf ein paar radikale Wähler. Es ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es geht um unsere Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeiter, den Gartennachbar, Freunde, Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Partner und Partnerinnen. Menschen müssen sich entscheiden, ob sie in ihrer Familie das Wort gegen AfD-Sprech erheben und damit einen Ausschluss aus der Familie riskieren, oder ob sie nachsprechen, was die Oberhäupter vorgeben.
Viele Menschen haben aktuell Angst, sind unzufrieden, fühlen sich hilflos, überfordert oder gelähmt. Suchen wir die Authentischen, die Zuhörer, die Wohlwollenden und gemeinschaftlichen Verbinder. Versuchen wir wieder Wahrheit zuzulassen, auch wenn sie gerade schmerzt. Dann können wir aus dieser turbulenten Zeit gestärkt hervorgehen.
Vielleicht kann sich die rechte politische Fraktion auch ein wenig mäßigen, zur Demokratie und politischem Miteinander bekennen. Weniger Aggressivität, weniger negative Grundstimmung, weniger Emotionalisierung würde allen weiterhelfen. Insgesamt macht es sicher Sinn unser Miteinander nicht nur durch Politiker, TikTok-Videos oder Instagram-Influencer bestimmen zu lassen. Es gibt Wichtigeres als das.
Empfehlung:
In der 90 minütigen Dokumentation Wir waren in der AfD – Aussteiger berichten (link zur ARD-Mediathek siehe unten) sprechen ehemalige (auch hochrangige) Mitglieder der AfD über ihre Zeit in der Partei und was sie veranlasst hat, der Partei letztendlich den Rücken zu kehren.
https://www.ardmediathek.de/video/dokumentation-und-reportage/wir-waren-in-der-afd-aussteiger-berichten/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDI1MDIyNDEwMDAvcmVwb3J0YWdlLWRva3UtaW0tZXJzdGVuLTM5Ng
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Admin - 22:12 | 1 Kommentar
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